Ärztliches Fachgutachten nicht zwingend erforderlich
veröffentlicht am: 31.08.2025
Der Mieter von Wohnraum ist bei einer Kündigung durch den Vermieter - abgesehen von wenigen Ausnahmefällen - in doppelter Hinsicht geschützt. Zum einen dadurch, dass der Vermieter grundsätzlich nur bei Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Beendigung des Mietverhältnisses d.h. eines gesetzlichen Kündigungsgrundes z.B. Eigenbedarf kündigen kann; und zum anderen durch die Sozialklausel des § 574 BGB, wonach der Mieter selbst dann, wenn der Vermieter das berechtigte Interesse dargelegt und bewiesen hat, unter bestimmten Voraussetzungen die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen kann.
Nach § 574 Abs. 1 BGB kann der Mieter der Kündigung eines Mietverhältnisses über Wohnraum durch den Vermieter widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist (Härteklausel, § 574 Abs. 1 BGB). Dabei stellt nach der Rechtsprechung des BGH weder ein hohes Alter noch eine lange Mietdauer mit einer damit einhergehenden Verwurzelung im bisherigen Umfeld ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen eines Wohnungswechsels grundsätzlich keine Härte dar.
Der Annahme, das hohe Lebensalter des Mieters gebiete auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters i.d.R. eine Fortsetzung des Mietverhältnisses, liegt eine unzulässige Kategorisierung der abzuwägenden Interessen der Mietparteien zugrunde (BGH, Urteile v. 03.02.2021, VIII ZR 68/19, WuM 2021, S. 257 und v. 15.03.2022, VIII ZR 81/20.
Auch bei hohem Alter und langer Mietdauer muss sich der Mieter um angemessenen Ersatzwohnraum bemühen. Erst wenn zu diesen Umständen Erkrankungen hinzukommen, aufgrund derer beim Mieter im Fall des Herauslösens aus seiner näheren Umgebung eine Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands zu erwarten ist, kann dies in der Gesamtschau zu einer Härte führen (BGH, Urteil v. 22.05.2019, VIII ZR 180/18, WuM 2019, S. 386). Dem Mieter obliegt es, die konkreten Umstände darzulegen und zu beweisen.
In einem neuen Urteil hat der BGH zu den Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Mieters Stellung genommen. In dem zu entscheidenden Fall hat der Mieter der Kündigung des Vermieters wegen Eigenbedarfs unter Vorlage einer „Stellungnahme über Psychiatrie“ seines - sich als Psychoanalytiker bezeichnenden - Behandlers widersprochen. Dieser bescheinigte dem Mieter eine akute Depression und emotionale Instabilität, verbunden mit Existenzängsten, die ihn zeitweise arbeitsunfähig machten. Ein Umzug führe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes.
Die Vorinstanzen Amtsgericht und Landgericht bestätigten den vorgetragenen Eigenbedarf des Vermieters. Den dagegen erhobenen Härteeinwand des Mieters aus gesundheitlichen Gründen lehnten die Vorinstanzen ab, weil der Mieter kein fachärztliches Attest, sondern lediglich die Stellungnahme eines „Psychoanalytikers“ eingereicht hat.
Der BGH widersprach dieser Auffassung: Der erforderliche hinreichend substanziierte Sachvortrag des Mieters zu einer gesundheitlichen Härte kann insbesondere - muss aber nicht stets - durch Vorlage eines fachärztlichen Attests untermauert werden. Zwar gewährleistet das Attest eines Facharztes eine fachliche Qualifikation der Diagnose in besonderer Weise, jedoch kann die hinreichende Substanziierung des Vortrags des Mieters nicht generell von der Vorlage eines solchen Attestes abhängig gemacht werden. Eine vom Mieter vorgelegte Stellungnahme kann daher nicht schon allein deshalb zurückgewiesen werden, weil sie nicht von einem Facharzt stammt. Entscheidend sind die konkreten Umstände insbesondere der konkrete Inhalt des vom Mieter vorgelegten Attests (BGH, Urteil v. 16.04.2025, VIII ZR 270/22, GE 2025, S. 540).
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